Mein Sohn Oskar wird dieses Jahr schon neun Jahre alt. Wie alle Eltern frage ich mich, wo die Zeit geblieben ist.
Neun verrückte, anstrengende, schöne und besondere Jahre! Denn Oskar ist ein besonderes Kind mit dem seltenen Gen-Defekt STXBP1, der unser Leben als Familie nicht selten auf den Kopf stellt.
Wenn man Oskar beschreiben möchte, schaut man am besten auf die Worte, die er spricht. Es sind nicht viele, aber Oskars Interessen sind klar: Pferde, Kikeriki, Schokobons, Dusche und Gekarom (raus gehen). Seine Lieblingstiere, sein Lieblingsessen und seine Lieblingshobbys.
Es ist schon komisch. Ein Kind, das kaum spricht, sagt ausgerechnet „Pferde“ als eines seiner ersten Worte. Oskar ist definitiv stolz auf die Worte, die er spricht.
Wenn er andere Menschen trifft, testet er häufig, ob diese Menschen denn auch „Pferde“ oder „Kikeriki“ sagen können und ist überglücklich, wenn sein Gegenüber die Worte erwidert.
Wenn man nach Oskars Wünschen den Tag gestalten soll, sind zwei Dinge ein Muss: Wasser und Sand. Denn Oskar ist ein Draußen-Kind. Ob es schneit, regnet oder die Sonne das Thermometer auf 36 Grad erhitzt. Oskar ist immer draußen und spielt mit Wasser oder Sand. Das Wetter lässt sich dann an seiner Kleidung erkennen. Ski-Anzug im Winter, Neopren-Anzug im Frühling und die Badehose im Sommer.
Seine starken autistischen Züge führen dazu, dass er ewig zufrieden draußen spielen kann und immer sehr unglücklich ist, wenn er rein muss. Außer für ein Schokobon. Für uns bedeutet das: dass wir immer überall Sand haben, Minimum alle 2 Jahre unser Staubsauger kaputt ist, unsere armen Nachbarn schon früh morgens Krach im Garten ertragen müssen, Oskar jeden Tag duschen muss (darf - eins seiner Lieblingshobbys) und wir mittlerweile ein Gartenhaus haben, dass anstatt mit einem Whirlpool oder Liegen mit vielen Kubikmetern Sand ausgefüllt ist. Damit wollten wir als Eltern die perfekte Lösung finden, damit das Kind auch bei schlechtem Wetter draußen spielen kann. Doch die Rechnung haben wir ohne Oskar gemacht. Was passiert, wenn unser wasserliebendes Kind bei Regen draußen ist? Er setzt sich natürlich nicht in sein Sandhaus, sondern läuft freudestrahlend durch den Regen. Außerdem spielt er auch wenig im Sandhaus, sondern wirft den Sand lieber davor und spielt da weiter. Damit der Sand natürlich auch noch in allen Beeten, der Terrasse und dem Rasen zu finden ist. Wie gesagt, ein Leben aus Sand.
Im Alltag zeigt sich das täglich. Ohne Buggy oder Rolli gehen wir mit Oskar nicht los. Er kann zwar perfekt laufen, aber läuft auch einfach davon. Unsere Gäste verabschieden uns mit den Worten „schließt ihr hinter uns ab?“, weil Oskar schon mehrfach allein aus dem Haus gelaufen ist. Alle wissen also, die Tür (und auch die Badezimmer) müssen immer abgeschlossen sein. Fußgänger wollen uns freundlich darauf hinweisen, dass unser Schlüssel am Gartenzaun von außen steckt und wundern sich, wenn wir erklären, dass der Schlüssel nicht die Funktion hat, dass Leute unerlaubt in unseren Garten gehen, sondern dass Oskar nicht alleine rausgeht.
Für viele Aufgaben, die Oskar uns stellt, finden wir Lösungen und machen häufig das Beste aus der Situation. Trotzdem ist das Leben mit einem Kind mit Behinderung eine außergewöhnliche Belastung, die mich auch oft an meine Grenzen bringt. Dazu gehören die Sorgen, wenn Oskar krank ist. Wir sind häufig verzweifelt, weil Oskar uns eben nicht die einfache Frage beantworten kann, ob ihm etwas wehtut und er sich unwohl fühlt. In den Momenten fühlt man sich als Eltern so hilflos. Dazu kommt die Belastung mit dem Thema Epilepsie. Ein Symptom der Krankheit, welches für uns Eltern meist schwer greifbar ist.
Darüber hinaus ist die Rund-um-die-Uhr-Betreuung sehr kräftezehrend. Vor allem am Wochenende geht es wenig um die Bedürfnisse von uns Eltern oder Oskars Schwester, sondern im Vordergrund steht Oskar. Der unter anderem leider ein Frühaufsteher ist und gerne schon um 4:30 Uhr aufstehen möchte. Die Betreuungssituation führt auch dazu, dass der Alltag gut geplant sein muss. Mit Oskar in den Supermarkt zu gehen, ist eine Herausforderung, der man sich nicht stellen will. Das heißt also auch diese kleine Alltagsaufgabe muss geplant sein.
Bei uns ist außerdem das Thema Urlaub ein Problem. Oskar braucht die Strukturen von zu Hause. Dies liegt vorrangig an seinem ausgeprägten Autismus. Sind wir woanders, zeigt sich sein Unbehagen, indem er total überdreht ist und nicht mehr schläft. Den letzten gemeinsamen Urlaub haben wir daher frühzeitig abgebrochen, weil natürlich auch wir, als Eltern, nicht geschlafen haben. Jetzt bleibt Oskar immer mit einem von uns zu Hause und mein Mann und ich fahren abwechselnd allein mit unserer Tochter in den Urlaub. Das ist natürlich keine gute Lösung und macht uns auch traurig. Wir versuchen aber, das Beste daraus zu machen.
Es bringt nichts sich aufzuregen, weil man am Ende an der Situation nichts ändern kann. Gelassen mit der Situation umzugehen, hilft aber enorm.
Wir sind unfassbar dankbar für die Unterstützung des großen Netzwerks an TherapeutInnen, LehrerInnen, IntegrationshelferInnen, ÄrztInnen, geduldigen Nachbarn und der Familie.
Jetzt ist es schon spät und Oskar steht morgen sicher früh auf. In diesem Sinne: Gute Nacht und „Kikeriki“!