Du bleibst unsere Prinzessin

Du bleibst unsere Prinzessin

In diesem Interview erzählt uns die Mama einer jungen Frau wie es ist nach 19 Jahren die Diagnose STXBP1 zu erhalten. Sie berichtet davon wie sich der Alltag ihrer Tochter nahezu ohne Therapien gestaltet und wie stolz sie auf die gemeinsam erreichten Meilensteine ist. Besonders im Fokus steht wie wichtig es ist sich auf das eigene Bauchgefühl zu verlassen, gelassen zu bleiben und das Leben in vollen Zügen zu genießen. 


Wie alt ist deine Tochter?

Meine Tochter ist 24 Jahre alt. Sie ist unsere kleine Prinzessin und das bleibt sie, egal wie alt sie ist. Für meinen Mann heißt sie “kleine Prinzessin” und das ist sie für uns alle. 


Wann habt ihr die Diagnose bekommen? 

Die Diagnose haben wir erst seit 2016 erhalten, da war meine Tochter also schon 19 Jahre alt. 

Wir hatten von Geburt an viele Untersuchungen. 

Wir sind, wie das wahrscheinlich viele kennen, von Arzt zu Arzt, von Klinik zu Klinik gegangen und haben nach dem Grund gesucht. Damals waren wir zwar auch schon im humangenetischen Institut zur Diagnostik, allerdings gab es diese genaue Panel Untersuchung noch nicht. 


Was ist bei deiner Tochter aufgefallen, dass eine Diagnostik stattfand?

Meine Tochter hatte sehr früh eine starke Epilepsie und auch eine deutliche Ataxie (dabei sind die Bewegungsabläufe und deren Koordination auffällig). Insgesamt fiel auf, dass sie wenig Blickkontakt aufnahm und sie ein “pflegeleichtes” Kind war. Sie zeigte auch keine Mimik, lachte oder weinte nicht. 

Es wurden in der Anfangszeit sehr viele Untersuchungen durchgeführt, die kein Ergebnis brachten. Irgendwann dachten wir, dass es nun so ist, wie es ist. Meine Tochter ist gut so, wie sie ist und es ist vielleicht auch gut so, dass wir keine Diagnose haben. Wir lebten damit. Ich wurde dann von einer fremden Mutter angesprochen und sie fragte, ob unsere Tochter vielleicht das RETT Syndrom haben könnte. Dann kamen wir wieder ins Grübeln und wir nahmen Kontakt zu verschiedenen Ärzten und Kliniken auf. 

Teilweise lagen dort auch noch Blutproben unserer Tochter. Letztendlich hat uns eine Ärztin empfohlen eine Paneluntersuchung machen zu lassen, die wir dann im humangenetischen Institut auch durchführen ließen. Dabei erhielten wir die Diagnose STXBP1. 


Hat die Diagnose für dich etwas verändert?

Für mich hat sich in sofern was geändert, dass ich nochmal ein Stück weit beruhigter war. Mit der Diagnose war klar, dass der Fehler nicht bei uns lag.

Man überlegt ja doch immer, ob man nicht doch in der Schwangerschaft etwas falsch gemacht hat. Zum Glück hatte ich in der Schwangerschaft weder getrunken, noch geraucht. Aber man überlegt ja wirklich hin und her. 

Ein großer Knackpunkt für uns war auch, dass festgestellt wurde, dass die Genmutation zufällig entstanden und nicht erblich ist. Wir haben auch noch einen Sohn und durch die Diagnose war klar, dass er die Genmutation nicht weitergeben kann. 

Ein weiterer positiver Punkt für mich war die Information, dass STXBP1 an sich nicht lebensverkürzend ist. Das hatte ich sehr stark im Nacken sitzen. Ich weiß nicht, was es für mich bedeutet hätte, wenn das rausgekommen wäre, ob ich da hätte gut mit leben können. 


Konnte die Epilepsie medikamentös gut eingestellt werden?

Wir haben was die Epilepsie angeht ganz schwierige Zeiten hinter uns. 

Unsere Tochter war fünf Jahre anfallsfrei. Das war ungefähr im Alter von fünf bis ca. neun oder zehn Jahren. In dieser Zeit war sie unter Keppra komplett anfallsfrei. 

Dann ist sie allerdings schon in die Pubertät gekommen und da fingen die Anfälle wieder an. Das waren sehr viele, zwanzig bis dreißig im Monat. 

Seit Anfang Dezember 2021 haben wir ein neues Medikament und seitdem hat meine Tochter nur noch sehr wenige Anfälle. 

Bezüglich der Epilepsie haben wir so viel versucht. Von Heilpraktiker über Bethel über unglaublich viele Medikamente, die ich gar nicht gezählt habe.


Gab es einen Zeitpunkt, an dem du realisiert hast, dass deine Tochter eine Behinderung hat?

Ja, das war ungefähr mit fünf Jahren. Dadurch, dass wir keine Diagnose hatten, hatten wir die Hoffnung, dass sie alles noch aufholen kann. Sei es durch Therapien oder Förderung. Dann hatte ich im Kopf, wenn das Laufen kommt, dann kommt die Sprache und danach kommt dann wieder ein Entwicklungsschritt. 

Uns hat auch niemand auf den Kopf zugesagt, dass sie eine geistige und körperliche Behinderung hat. Das ist immer umschrieben worden, auch von den Ärzten.

Es war immer die Rede von einer starken Entwicklungsverzögerung oder einer starken Retardierung. 

Mit fünf Jahren ging sie in einen Regelkindergarten und ich kannte auch noch die Entwicklung ihres älteren Bruders. Die Zeit war für mich ein Wendepunkt, da wurde mir klar, dass der Unterschied zu den anderen Gleichaltrigen zu groß ist. Das war auch der Zeitpunkt der Schulanmeldung und da wurde mir klar, dass keine Regelschule in Frage kommt. Mir wurde bewusst, dass sie da nicht reinpasst und da auch nicht hingehört, sondern dass es eine Förderschule sein muss. 


Welche Meilensteine der Entwicklung hat deine Tochter bis heute erreicht?

Meine Tochter kann alleine laufen, da sind wir sehr stolz drauf. Man muss immer ein kleines Stück hinter ihr herlaufen und ihr die Richtung zeigen. Aber sie kann frei laufen und sie erkennt auch Dinge, die ihr helfen. Also weiß sie beispielsweise, dass sie sich an einem Baum gut festhalten kann, eine Gardine aber nicht stabil genug ist. 

Im Haus kommt sie so sehr gut zurecht. Außerhalb des Hauses kann sie kurze Strecken super laufen und für längere Strecken nehmen wir einen Crossbuggy. Einen Rollstuhl haben wir mittlerweile nicht mehr. (Wir waren es irgendwann leid den Rollstuhl zu schieben.)

Was wir auch viel nutzen ist ein Rollfiets, das ist ein Fahrrad, ähnlich einem Lastenfahrrad, nur mit einer Art Rollstuhl vorne dran. Mittlerweile gibt es da auch verschiedene Ausführungen. Unsere Tochter liebt es und wir nutzen es wirklich schon seit Jahren. Man kann daran auch den Rollstuhl vom Rad abkoppeln und dann den Rollstuhl schieben. 

Im Bereich der Kommunikation nutzt meine Tochter ihre Gestik, Mimik und auch Laute um sich mitzuteilen. So schafft sie es sehr gut ihrer Umgebung mitzuteilen was sie möchte oder braucht. Auch, wenn sie keine Worte zur Kommunikation nutzt. Vor allem bei Dingen, die ihr wichtig sind, klappt es sehr gut. Sie zeigt auch deutlich, ob sie jemandem mag oder nicht. 

Wir hatten zeitweise einen Talker ausprobiert, aber das nutzt sie überhaupt nicht. Ich hatte in der Phase dann irgendwann realisiert, dass sie sich auch ohne Talker verständigen kann. Beispielsweise indem sie zuhause zum Trinken läuft. 

Meine Tochter liebt alleine schaukeln und sich allein anschaukeln. Das macht sie mit den Fußspitzen, da stößt sie sich vom Boden ab. Sie kann auch freihändig schaukeln, da kann ich manchmal gar nicht hinschauen. Ihr Gleichgewicht ist super.
Da kann ich anderen Eltern Mut machen. Die Ataxie ist im Laufe der Jahre bei unserer Tochter immer weiter zurückgegangen und ist fast weg. Und das, obwohl sie wirklich eine sehr starke Ataxie hatte. Sie konnte lange Zeit nicht zielgerichtet zugreifen, was ihr jetzt sehr gut gelingt, sogar den Pinzettengriff kann sie einsetzen. 

Eine große Erleichterung im Alltag ist es auch, dass unsere Tochter die Toilette nutzen kann.


Würdest du sagen, dass sich deine Einstellung Therapien gegenüber mit der Zeit geändert haben?

Ja, auf jeden Fall. Wenn man ein Kind mit Behinderung hat, dann versucht man durch möglichst viele Therapien, möglichst viel aus dem Kind rauszuholen und es zu fördern. Das habe ich irgendwann abgelegt. Ab dem Zeitpunkt ging es mir deutlich besser. 

Ich finde man muss schauen, was wirklich sinnvoll ist und ab wann es in Stress ausartet. Sei es für mich als Elternteil oder für das Kind. Da bin ich heute froh, dass die Sachen, die sie sich erarbeitet und erlernt hat, erhalten bleiben. 

Dass wir so einfach glücklich sind. Wir machen einfach das, woran wir Spaß haben.


Wo lebt deine Tochter?

Sie lebt bei uns zuhause. 


Bist du zufrieden damit, dass sie bei euch zuhause lebt oder würdest du es gerne ändern?

Das weiß ich nicht. Sie ist bei einer stationären Einrichtung hier direkt im Ort angemeldet. Da stehen wir allerdings auch schon seit sieben Jahren auf der Warteliste und ich weiß auch nicht was passiert, wenn wir dort eine Zusage bekommen. 

Ich weiß nicht, ob wir dann bereit sind.

 

Zehrt die Pflege an dir? Schaffst du dir Auszeiten? 

Ich merke das an meinem Rücken. Ich bin mittlerweile 58 und muss mit meinem Rücken aufpassen. Der normale Tagesablauf mit meiner Tochter ist nicht das Problem, aber ich muss aufpassen, wenn wir beispielsweise zwei oder drei Stunden auf den Spielplatz gehen und ich sie dort immer wieder auf die Wippe setzen würde. Solche Sachen muss ich dosieren.
Auszeiten schaffen wir uns indem unsere Tochter in die Kurzzeitpflege geht. Sie geht dazu in ein Kinder- und Jugendhaus, das Kurzzeitpflege anbietet. Das ist ca. fünf bis sechs Mal im Jahr, für eine Woche. Diese Zeit nutzen mein Mann und ich und wir fahren dann meistens in den Urlaub. Wir nutzen dieses Angebot, seit unsere Tochter ca. 15 Jahre alt ist, vorher konnten wir das nicht. 

Mittlerweile ist es so schön, weil die Einrichtung unsere Tochter sehr gut kennt. Da sind auch viele andere Kinder, die dann gemeinsam was unternehmen. Mit den Bullis fahren sie in Freizeitparks, ins Schwimmbad und meine Tochter fühlt sich dort pudelwohl. 

Das ist für uns eine Auszeit, die ich auch brauche. 


Wie sieht ein typischer Tag für deine Tochter aus?

Der Tag meiner Tochter beginnt in der Regel um viertel vor 7. Bis um 8 Uhr das Taxi kommt, verbringen wir die Morgenroutine mit Waschen, Anziehen, Frühstücken und Lauftraining. Für das Lauftraining gehen wir um viertel vor 8 nach draußen und da laufen wir gemeinsam, damit sie das Laufen beibehält. Das ist mir sehr wichtig, dass sie das jeden Tag macht um ihr freies Laufen zu stabilisieren und zu erhalten. 

Um 8 Uhr fährt sie dann mit dem Taxi zur Werkstatt, die hier auch im Ort ist. Da ist sie in dem Intensiv Förderbereich. Dort arbeitet sie ein wenig und hat dort auch Physio vom Haus. Insgesamt ist es viel Pflege, beispielsweise Essen anreichen. Sie gehen dort auch Spazieren oder in die Turnhalle. Dann kommt sie gegen viertel vor 5 nach Hause und macht erstmal ein Päuschen auf der Couch. Danach geht sie direkt ins Bällebad. Wir haben ihr in einem kleinen Nebenraum der Küche ein Bällebad eingerichtet, das liebt sie und verbringt dort viel Zeit. Dort sind auch Lichtprojektoren und Musik, ähnlich wie ein kleiner Snoezelraum. Ansonsten nutzt sie sehr gerne ihre Schaukel im Haus. Dann gibt es Abendessen und gegen halb 8 gehen wir hoch. Dort mache ich sie bettfertig, ich dusche sie jeden Abend. Um halb 9 liegt sie dann meistens im Bett, ob sie dann gleich schläft oder nicht, ist unterschiedlich. Teilweise ist sie nachts wach, aber steht dann nicht auf, sondern spielt mit ihren Kuscheltieren oder schaukelt sich hin und her. 


Gibt es noch weitere Lieblingsbeschäftigungen oder Ausflüge, die deine Tochter gerne macht?

Meine Tochter liebt ansonsten noch Wasser, also sie geht unheimlich gerne ins Schwimmbad oder in ein Planschbecken. Sie schaut auch sehr gerne Fußball. Sie liebt Bälle und tatsächlich guckt sie das auch gerne im Fernsehen.

Freizeitaktivitäten werden, je nach Ziel für mich schwieriger zu handeln, allein wegen der Körpergröße und dem Gewicht. Meine Tochter geht auch sehr gerne in Vogelparks.

Dabei versuche ich immer, dass sie dann auch viel selbst läuft. Verschiedene Untergründe mag sie sehr gerne, beispielsweise liebt sie es im Herbst durch Blätter zu laufen. Worauf sie auch sehr gerne läuft ist die Kartbahn. Ich denke, weil der Boden ein bisschen nachgibt. Sie hat auch in einer Turnhalle laufen gelernt, auf diesem weichen Fußboden. In der Schule sind sie mit meiner Tochter häufig auf die Kartbahn gegangen, um dort mit ihr zu laufen. 


Wenn ihr unterwegs seid, möchte deine Tochter dann gerne laufen oder lieber in den Buggy?

Ich setze sie zu Beginn gar nicht rein. Meine Tochter zeigt dann, wenn sie nicht mehr kann. Dann setzt sie sich in den Buggy aber zeigt auch an, wenn sie sich genug ausgeruht hat und nochmal laufen möchte.

Also sie entscheidet das quasi.
Das ist auch eine Sache, da denke ich, dass unsere Kinder häufig unterschätzt werden. Über das Visuelle nimmt meine Tochter ganz viel auf und erkennt auch wieder. Manchmal braucht sie etwas nur einmal sehen und erkennt es dann wieder, auch nach Monaten.

Wir waren bei der Delphintherapie, insgesamt drei Mal. Um diese Anlage ist ein großer Bretterzaun und dort ist eine Tür, durch die es zu den Delphinbecken geht. Diese Tür ist kaum zu erkennen, weil sie aussieht wie der Zaun. Bei unserem zweiten Mal dort, das war ein Jahr nach dem ersten Mal, wusste meine Tochter direkt, wo die Tür ist. 

Das fällt einfach immer wieder auf, dass sie unterschätzt wird. Ich denke, das liegt daran, dass der Blickkontakt nicht da ist, meine Tochter schaukelt sich auch gerne hin und her, hat also stereotype Bewegungen. In dem Moment wird von außen gedacht, dass sie nicht viel mitbekommt. Das ist aber nicht richtig. 

Sie nimmt auch sehr viel über ihren Geruchssinn wahr. 


Möchtest du noch etwas zum Werdegang bezüglich Kindergarten und Schule erzählen?

Sie war als Integrationskind im Regelkindergarten, da war eine Heilpädagogin nur für meine Tochter da. Das war super. Das war eine Elterninitiative, da war also auch viel Personal da und sie sind beispielsweise auch mit meiner Tochter zum Reiten gefahren. 

Danach ist sie auf eine Förderschule gekommen. 


War Inklusion in der Schule auch Thema?

Zu der Zeit gab es keine Inklusionsmaßnahmen in der Regelschule. Rückblickend muss ich auch sagen, dass meine Tochter da nicht gut aufgehoben gewesen wäre. Das wäre keine Schule für meine Tochter gewesen. Das, was an der Förderschule geleistet wird, ist an einer Regelschule nicht möglich. Dort war es ein sehr schöner Alltag für meine Tochter. Dort konnte sie zwei Mal die Woche schwimmen gehen, dort gab es ganz andere Möglichkeiten. Die haben dort auch so viel unternommen. Auch die Ausstattung war klasse, es gab spezielle Dreiräder mit denen die Kinder zusammen fahren konnten, es gab ein Karussell, alles war eben auf die Bedürfnisse angepasst.

Auch die ganze Förderung fand vor Ort statt, Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie. Die Struktur war losgelöst von der -eine Stunde Unterricht, dann Pause und wieder Unterricht- Struktur. Es war mehr ein toller, familiärer Alltag. Das ist eine tolle Schule, kann ich nicht anders sagen.

Auch an dieser Schule sind die Kinder sehr unterschiedlich und ich finde, dass dort auch sehr viel Integration stattfand. Die Kinder haben sehr viel voneinander gelernt. 


Bis zu welchem Alter ist deine Tochter in die Schule gegangen und wie hat sich der Übergang in ihre jetzige Einrichtung gestaltet?

Bis meine Tochter 20 Jahre alt war ging sie zur Schule.
Es gibt ja die Schulpflicht, die bis 18 Jahren gilt, soweit ich weiß. Das liegt dann an der Förderschule wie lange die Kinder dahin gehen können. Die letzten drei Jahre gab es eine Berufsvorbereitung. Da wurde gemeinsam mit uns als Familie geschaut wo meine Tochter hingehen kann. 

Im Gespräch mit der Lehrerin wurde dann entschieden, wann sie wechselt. 


Worauf bist du stolz?

Ich bin sehr stolz darauf, dass wir überall zusammen hingehen können. Auch zu Veranstaltungen, bei denen ich mich zunächst noch gefragt habe ob es wirklich gut geht. Aber meine Tochter verhält sich immer vorbildlich. 

Zum Beispiel bei Kirchenbesuchen, im Restaurant, beim Friseur, aber auch bei Beerdigungen. Das klappt wunderbar. 

Manchmal hat sie Phasen, da ist sie sauer. Da beißt oder kneift sie sich und auch Andere. Das dauert in der Regel ein paar Tage, dann ist so eine Phase wieder vorbei. Momentan gibt es diese Phasen eher selten. Ich bringe das in Zusammenhang mit der Epilepsie. Ich hab das Gefühl, dass das Auren sind. Ich glaube sie spürt, dass da etwas Unangenehmes ist, das kommt häufig auch so plötzlich. Dann kann sie sich nur so ausdrücken.


Welche Wünsche hast du für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass sie ganz wenige Krämpfe hat. Das ist unser größter und einziger Wunsch, weil das so viel überschattet. 

Mit allem anderen kommen wir super klar und können super leben.
Natürlich wünschen wir uns auch, dass sie später mal in gute Hände kommt. 

Wir haben auch einen Notfallplan, falls etwas passieren würde. In der Küche hängt der, damit würden mein Mann, meine Schwester und auch mein Sohn zurechtkommen. Wenn eine längere Zeit jemand einspringen müsste, dann würde meine Tochter in die Einrichtung können, in die sie auch zur Kurzzeitpflege geht. Dort ist immer ein Notfallzimmer frei. 

Ansonsten möchten wir nicht, dass unser Sohn sich um seine Schwester kümmern muss. Das war mir immer wichtig. 


Gibt es etwas, das du dir gerne vor 15 Jahren gesagt hättest?

Ja, was ich zwischendurch immer mal angesprochen habe. 

Höre mehr auf dein Bauchgefühl und lass die nichts von außen vorschreiben. 

Vor allem, was andere Leute meinen, was mir gut tun würde.

Einfach gelassen bleiben und aufs Bauchgefühl hören. 


Habt ihr Ableismus (Diskriminierung aufgrund der Behinderung) erlebt?

Wir haben keine negative Erfahrung gemacht. 

Also ich habe wirklich keine Situation vor Augen, in der meine Tochter nicht akzeptiert oder abgelehnt wurde. Das war wirklich gar nicht der Fall. 

In der Kindheit war es wirklich sehr schön. Sie hatte viele gleichaltrige Cousins und Cousinen, auch hier auf der Straße waren viele Kinder. Da war unsere Tochter immer mit dabei. Wir hatten im Garten ein Trampolin, da war sie dann immer in der Mitte und alle anderen Kinder drumherum. 

Weder in Kindergarten, Schule noch in der Freizeit haben wir irgendwelche Erlebnisse dahingehend gemacht. 

Ich habe eher schöne Erinnerungen und Beispiele. 

Es gab mal einen Jungen aus der Nachbarschaft, der kam und fragte “Was hat sie?” Dann wollte ich es ihm erklären und fing an zu erklären mit “Unsere Tochter ist behindert.” Er unterbrach mich direkt und sagte “achso”. Damit war es für ihn schon erledigt und sie war angenommen. 

Bei den negativen Erlebnissen, die es gab waren eher im Zusammenhang mit mir. Also zum Beispiel in Gesprächen. Da gab es mal eine Frau vom MDK (Medizinisch technischer Dienst der Krankenkassen), die kam und fragte, ob ich tatsächlich vor der Geburt nichts von der Behinderung wusste, denn da “hätte man ja noch was machen können”. 

Einmal auf dem Spielplatz sagte eine Frau zu ihrem Mann, dass man aufpassen müsse, weil man ja nicht wisse ob meine Tochter “ansteckend” wäre. Das ist schon ewig her. 

Also, wenn es sowas gab, dann nie meiner Tochter direkt gegenüber. 


Gibt es etwas, was du dir von der Gesellschaft wünschst?

Da würde ich mir wünschen, dass unsere Kinder so angenommen werden wie sie sind. Nicht unsere Kinder so hinzubiegen, zu fördern und zu fordern, dass sie in die Gesellschaft passen, sondern, dass die Gesellschaft sich ändert und formt, dass sie jeden einzelnen annehmen kann.

Das ist mir wichtig.

Ich würde mir allgemein wünschen, dass Einrichtungen für alte und Behinderte Menschen aber auch Kindergärten mehr vermischt werden und zentraler in die Städte kommen. Also eine Wohneinrichtung zum Beispiel mitten in ein Wohngebiet gehört und nicht an den Rand.


Was möchtest du anderen Familien von Kindern mit einer Behinderung mitgeben?

Das habe ich schon ein bisschen angerissen. 

Ich wünsche den Familien, dass sie versuchen gelassen zu bleiben, ihr leben zu genießen. Sich nicht so viel von Außenstehenden reinreden zu lassen, sondern, dass die Entscheidungen, die sie treffen, die richtige ist. 

Dass man sich nicht von jemandem hinbiegen lässt, sondern entscheidet und standhaft bleibt. 


Ist für dich noch eine Frage offen?

Ich hätte tatsächlich gerne mehr Informationen über Einrichtungen für Erwachsene Menschen mit Behinderung. Da würde ich mich gerne austauschen, mit anderen Eltern, deren Erwachsene Kinder in einer Einrichtung leben. Wie sich das so gestaltet.

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